Liebe Freunde und Unterstützer meiner Arbeit,
die geopolitischen Veränderungen in Sub-Sahara-Afrika sind gravierend und für viele Menschen in Deutschland nicht sehr präsent, ich möchte euch hiermit einen Überblick über die Ereignisse im sahel im Jahr 2023 und einen Ausblick auf 2024 ermöglichen.
Der Austritt von Mali, Niger und Burkina Faso am 28. Januar 2024 aus dem 50 Jahre bestehenden Wirtschaftsraum ECOWAS ist eine „Zeitenwende“.
Es ist auch nicht übertrieben, wenn man das in Verbindung bringt damit, dass Russland in Afrika eine zweite Front und einen zweiten Krieg gegen Europa und hier insbesondere gegen [den Einfluss der EU und] Frankreich führt. Der Austritt der drei Partnerstaaten von Russland in Verbindung mit dem kompletten Rückzug der internationalen Gemeinschaft, „dem Westen“ innerhalb weniger Monate unterstreicht das.
Die beiden von Russland organisierten Afrika-Gipfel und das Abstimmungsverhalten einiger afrikanischer Staaten bei der UN zeigen, dass Russland seine Stellung und seinen Einfluss in Afrika sehr massiv ausbaut und es in vielen Ländern, die zusammen viel größer sind als Europa als Kontinent, auch bereits mit gezielten Desinformationskampagnen geschafft hat, westliche Staaten, die EU aber auch die USA zu verdrängen.
Bildquelle: FAZ-Artikel (verlinkt)
Die verändert die geopolitischen Blöcke massiv und nachhaltig. Man mag den Zerfall der Hegemonie der USA und der NATO gut oder schlecht finden. Die politischen Umstürze in Mali, Burkina Faso, Guinea, Tchad, Sudan und Niger sowie Gabun haben ALLE unterschiedliche, länderspezifische Ursachen. Was die meisten eint, ist eine unzufriedene Jugend, die speziell in Westafrika dem Einfluss einer postkolonialistischen Macht überdrüssig ist: Frankreich und der EU. In diese Lücke drängt Russland auf politischer Ebene und China auf wirtschaftlicher. Auch Akteure wie die Türkei sind deutlich aktiver. In dem Kontext ist es auch bemerkenswert, dass die BRICS + Staaten „den Westen“ überholt haben.
Nach dem Abzug der Vereinten Nationen zum 31.12.2023 aus dem Sahel und dem Ende des UN-Mandats MINUSMA entsteht ein gefährliches Vakuum, in das Russland jetzt sogar mit regulären Truppen seines „Africa-Corps“ und nicht wie zuvor nur mit Wagner-Söldnern eingreift.
Während Russland im letzten Jahr 2023 größter militärischer Waffenlieferant auf dem afrikanischen Kontinent geworden ist, baut auch China seinen Einfluss in gigantischem Maß aus.
Studien über die letzten 20 Jahren zeigen den dramatischen Rückgang der wirtschaftlichen Projekte auf dem afrikanischen Kontinent.
Wie sehr sich Russland autokratische Verbündete in Afrika besorgt, hat die ZEIT in dieser interaktiven Karte treffend dargestellt: Russlands Verbündete : Putins Freunde | ZEIT ONLINE
Die geopolitische Strategie Russlands in Sub-Sahara-Afrika ist der Kampf mit Migranten. Russland nutzt seinen Einfluss entlang der Mittelmeer-Routen den Migrationsdruck auf den Süden Europas massiv auszubauen. Durch die Aufkündigung des Flüchtlingsdeals der EU mit den G5-Sahel vor wenigen Wochen, ist mit einem starken Anstieg der Geflüchteten aus dem Sahel im Jahr 2024 zu rechnen.
Die Strategie der Akteure ist dabei ein hybrider Krieg mit Migranten, die die politische, fragile Situation in der EU unter Druck setzt, so dass sich die politischen Systeme europäischer Länder nach Rechts bewegen. Der Plan funktioniert aktuell hervorragend, denn die Debatte um Remigration und Deportation in Deutschland zeigt die Anspannung, die in allen europäischen Ländern mit Angst vor Migranten aus Afrika geschürt wird.
Russland nutzt diese hybride Kriegsführung in einer perfiden Art und Weise durch Desinformationskampagnen, in der vor allem die junge Bevölkerung Sub-Sahara-Afrikas gegen post-kolonialistische Strukturen und Länder wie Frankreich aufgehetzt werden. Russland führt diesen hybriden Krieg von #Desinformation schon seit längerem mit riesigem Ausmaß. Das findet z.B. über Cartoons und News statt, die auf #TikTok und #Facebook und in Chats wie Telegram massenhaft geteilt werden und dessen Konsumenten vor allem junge Menschen sind, bei denen sich diese Propaganda extrem verfängt und die letztlich auch die Staatsstreiche initiierten.
Ich teile hier ein französisch-sprachiges Video (die Auszüge aus den Desinformationskampagnen die von russischen Hackern und Trollfabriken produziert wurden):
Diese Videos werden millionenfach auf den Telefonen von jungen Menschen geteilt und münden mit großem „Erfolg“ in eine anti-europäische Stimmung und eine Begeisterung für Russland, die maßgeblich an den letzten Militärputschen im Sahel mitverantwortlich sind. Diese Entwicklung ist noch nicht zu Ende. Die nächsten Länder befinden sich im freien Fall.
Diese Entwicklung wird in Deutschland überhaupt nicht wahrgenommen. Von unseren Gesprächen in Mali, Niger, Tchad und Burkina Faso mit Kreisen der Militärs wissen wir, dass sich die neuen Machthaber insbesondere von Deutschland viel mehr aktiven diplomatischen Kontakt wünschen, doch die deutsche Außenpolitik versteckt sich fatalerweise hinter Frankreich und Macron. Zu groß ist die Angst in Berlin, den mächtigen Nachbarn in Europa zu verlieren oder zu verärgern.
Die vermeintlich armen Länder wie Mali, Niger, Tchad, Burkina Faso spielen wirtschaftlich für Deutschland keine Rolle. Was dabei massiv unterschätzt wird ist, dass 90% der westafrikanischen Fluchtrouten zum Mittelmeer über diese Länder erfolgen und hunderttausende Geflüchtete die südlichen EU-Grenzen fluten.
Vergleicht man die Herkunft der Geflüchteten aus Sub-Sahara-Afrika auf dem Weg nach Europa wird frappierend klar, dass es genau die Länder sind die Russland bereits als militärische Partner infiltriert hat. Wirtschaftshilfe oder Unternehmen bringt Russland in seinen Flugzeugen nicht mit, sondern Russlands „Hilfe“ fokussiert sich auf die Sicherung der autokratischen Machteliten in den Zielländern, die dann ihre Beziehungen zum Westen und zur EU zerstören. So strömen Millionen Menschen aus der Region nach Europa. Ganz aktuell werden alte Schlepperrouten, die in den letzten Jahren durch gezielte Vereinbarungen zwischen der EU und den Sahel-Ländern getroffen waren, wieder geöffnet.
Ausblick 2024
In 2024 erwartet uns daher, passend zu den Wahlen in vielen Ländern eine regelrechte Massen-Migration aus dem Sahel, die letztlich an vielen Stellen auf die hybride Kriegsführung Russlands zurückzuführen ist. Der Einfluss Russlands auf mittlerweile 19 afrikanische Staaten destabilisiert Europa in seinen Grundfesten, denn es entzweit die EU-Länder von innen, in dem es die Bevölkerung der Nationalstaaten spaltet.
Das sehen wir überall in Europa durch den Siegeszug der Rechten, die ihrerseits enge Verbindungen zu Russland pflegen. Pegida, Front National, Ungarns Premier Orbán: Russland unterhält enge Kontakte zu Europas Rechten. Bei Europas Rechtsextremen wird ein Symbol immer populärer: die russische Fahne. Sie flattert über den Köpfen von Anhängern der italienischen Lega Nord, bei Pegida in Dresden und wird von Neonazis im sächsischen Heidenau - in leicht abgeänderter Form - getragen.
Denn Russland hat ein enges Netz zu rechten Bewegungen in Europa gesponnen. Auf dem Parteitag von Marine Le Pens Front National war ein Abgesandter aus Moskau Ehrengast: Andrej Isajew, Führungskader der Kreml-Partei „Einiges Russland“ und Vize-Sprecher der russischen Staatsduma. Niederlande, Italien, Deutschland – in vielen Ländern Europas reiten Rechtspopulisten auf einer Welle des Erfolgs.
2024 ist ein wichtiges Wahljahr in Europa. Am 9. Juni stehen die Wahlen zum EU-Parlament an. Die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten wollen dabei die Zahl ihrer Mandate massiv ausbauen. Bei den im Herbst 2024 in Deutschland anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen könnte die Regierungsbildung wegen der zu erwartenden Stärke der AfD sehr schwierig werden. Gelingt es Putin durch Migrations-Wellen aus Afrika die Stimmung in der EU zugunsten der Rechten zu drehen, zerfällt unsere politische Einigkeit in der Ukraine.
Gleiches gilt für die bevorstehende Wahl in den USA, die zu einem Stopp der Militärhilfe für die Ukraine führen könnte. Auch für den Einfluss des Westens auf dem afrikanischen Kontinent wäre eine Wiederwahl von Trump das Aus. Denn die USA engagieren sich humanitär sehr stark in Afrika.
Was bedeutet diese Entwicklung ganz konkret für Africa GreenTec?
Unser Unternehmen ist im Prinzip politisch neutral, aber auch wir sind unmittelbar betroffen, da z. B. Sanktionen der EU massiven Einfluss auf Fördermittel, auf Logistik und auch auf Geldtransit haben.
In den letzten beiden Jahren hatten bereits zwei geopolitische Ereignisse direkten Einfluss auf unsere Arbeit.
Rückzug aus dem Tchad im Jahr 2022
Aus dem Tchad mussten wir uns bereits 2022 endgültig zurückziehen nach der von Russland unterstützten Rebellion 2021, die zum Tod des Präsidenten führte. Aufgrund von unseren Investitionen in die mit dem Präsidenten geschlossenen Verträge mussten wir in unserer Bilanz 2022 massive Verluste verbuchen.
Crowdinvestoren haben Zugang zum ausführlichen Bericht über den Rückzug aus dem Tchad: https://community.africagreentec.com/t/wirtschaftliche-konsequenzen-aus-dem-rueckzug-im-tschad-vertraulich/539
In meiner im Oktober 2021 veröffentlichten Keynote „The Dark Side of Beeing a Social Entrepreneur“ habe ich die Ereignisse auch zusammengefasst.
Teilrückzug aus dem Niger im Jahr 2023
Dies beeinflusste in 2023 auch massiv unsere Arbeit in Niger, speziell nachdem die von Russland unterstützten Putschisten Präsident Bazoom im Juli 2023 entmachteten. In Folge dessen haben wir Finanzierungen und Projekte in Millionen-Höhe verloren.
Wir haben für uns die Konsequenzen daraus gezogen und fokussieren uns derzeit mit Ausnahme von Mali auf Länder und Projekte außerhalb der Krisenregionen, insbesondere den Senegal und Madagaskar. Da wir in Mali die meisten Standorte mit Mini-Grids haben, versuchen wir das Land, unsere Mitarbeiter und Kunden in der Zivilgesellschaft weiter durch eine nachhaltige Energie- und Wasserversorgung zu unterstützen, wenngleich die Lage im Land immer schwieriger wird. Derzeit gibt es in den großen Städten Malis 16-18 Stunden Stromausfälle. Die Zivilgesellschaft und staatliche Ordnung ist vielerorts zusammengebrochen. Am 31.12.2023 sind die letzten Truppen der Vereinten Nationen abgezogen. Seitdem steigen auch die Anschläge der Terrorgruppen weiter stark an.
Die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit ist zwar aktuell auf die Ukraine und Israel gerichtet, meiner Meinung nach fatal, denn auch 2024 wird der Hotspot des Terrorismus in Westafrika und der Sahelzone sein.
Austritt aus der Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS
Am 28. Januar 2024 sind die Regierungen von Burkina Faso, Niger und Mali aus dem Staatenverbund Ecowas ausgetreten.
Wirtschaftssanktionen gingen Ecowas-Austritt voraus
Alle drei Sahelstaaten werden derzeit von Militärs regiert. Im Juli 2023 war es zunächst im #Niger zu einem Militärputsch gekommen, woraufhin die Ecowas Wirtschaftssanktionen verhängte und mit einem Militäreinsatz drohte. Im Dezember erkannte Ecowas die Militärjunta in Niger als Regierung an, hielt aber weiter an den Sanktionen gegen das Land fest.
Auch die Nachbarländer #Burkina Faso und mali sind nach Regierungsumstürzen von der #Ecowas suspendiert. Im September 2023 hatten sich die drei Regierungen daher zu einer Allianz der Sahel-Staaten kurz l’Alliance des États du Sahel kurz AES zusammengeschlossen. Das Abkommen ermöglicht es, gegenseitigen militärischen Beistand zu leisten. Mali, Burkina Faso und Niger arbeiteten zuletzt verstärkt mit Russland zusammen.
Ecowas ist wichtiger Partner vor allem für Europa
Nach dem Austritt der drei Länder besteht die Ecowas-Gemeinschaft nun nur noch aus zwölf Mitgliedsstaaten. Ecowas wurde bereits 1975 gegründet und hat seit längerem Ambitionen, die über eine reine Wirtschaftszusammenarbeit deutlich hinausgehen. Die Gemeinschaft gilt als wichtigster Partner in der Region, insbesondere für europäische Länder.
Im vergangenen Jahr kündigte Deutschland einen Ausbau der Beziehungen zur Ecowas an, insbesondere in den Bereichen Friedensentwicklung und Krisenprävention, Energieeffizienz, Handel und nachhaltige Lieferketten sowie Gesundheitsvorsorge. Dafür stehen nach Angaben des Entwicklungsministeriums rund 81 Millionen Euro zur Verfügung.
Bedeutung des Austritts für die Projekte und Finanzierungen von Africa GreenTec
Der Austritt aus der ECOWAS könnte auch massiven Einfluss auf unser Unternehmen haben, da insbesondere unsere Anleihe in Mali auf Basis eines festen Wechselkurses kalkuliert ist. Inwieweit Folgefinanzierungen noch abgewickelt werden können, ist derzeit nicht absehbar, denn durch den Austritt aus der Wirtschaftsunion werden auch die Zugehörigkeit zur Zentralbank und der Zugang zu Devisen erschwert.
Präsidentschaftswahlen im Senegal ausgesetzt
Der Senegal gilt bislang als eine der stabilsten Demokratien Afrikas. Überraschend hat Präsident Macky Sall am Sonntag, den 4. Februar 2024 die für den 25. Februar 2024 angesetzten Präsidentschaftswahlen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. In Folge kommt es in den letzten Tagen zu Ausschreitungen.
Der Senegal stand kurz vor der nächsten Wahl. Doch die Kandidatenliste sorgte für erheblichen Unmut. Menschenrechtler beobachten seit mehreren Jahren, wie Sall der Opposition das Leben schwer macht. Die Regierung greift Politiker durch Gerichtsverfahren gezielt an. Bis zu 1000 Oppositionelle sowie Aktivistinnen und Aktivisten sind seit März 2021 festgenommen worden.
Seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 hat es im Senegal nach Wahlen vier Mal einen weitgehend friedlichen Machtwechsel gegeben. Sall ist der vierte Präsident des Landes an der Atlantikküste, das im Osten an den von Terrorismus und Instabilität heimgesuchten Sahelstaat Mali grenzt.