Die geopolitische Situation in der Sahelzone hat sich in den letzten Wochen verschlechtert. Im Dezember letzten Jahres haben die Menschen in der Sahelzone eine extreme Welle der Gewalt erlebt mit unabsehbaren Folgen für Flucht und Migration. Die Armeen von Niger, Mali und Burkina Faso haben sehr viele Soldaten verloren, aber auch der UN-Einsatz MINUSMA und Barkhane der Franzosen hat viele Todesopfer gefordert. Ethnische Gruppen haben 2019 etliche Massaker mit tausenden Todesopfern verübt.
Die Sahel-Zone umfasst die fünf Länder Mali, Niger , Tschad, Burkino-Faso und Mauretanien. Diese fünf Staaten gehören schon jetzt zu den ärmsten Ländern der Welt und drohen mehr denn je im Chaos aus Schwierigkeiten und Problemen zu versinken. Extreme Armut, Nahrungskrisen, Konflikte, hoher Bevölkerungszuwachs, institutionelle Schwächen, irreguläre Migration und Verbrechen wie Menschenschmuggel sind nur einige der zahlreichen Problematiken, mit denen sie zu kämpfen haben. Zudem kommt ein gewalttätiger Extremismus hinzu, der die gesamte Region bedroht und potentielle Spillover-Effekte auf andere Regionen hat. Mittlerweile sehen sich daher 41 Millionen Menschen einer grassierenden Hoffnungslosigkeit gegenüber, was das Risiko einer Flucht oder eines Anschlusses an eine extremistische Organisation weiter erhöht.
Die Ausweitung der Reichweite terroristischer Gruppen in der Sahelzone, insbesondere zuletzt an Heiligabend in Burkina Faso mit 122 Todesopfern, bereitet nun auch zurecht den westafrikanischen Küstenstaaten große Sorge. Das sollte auch in Europa alle aufhorchen lassen. Die Regierungen dieser Staaten befürchten, dass die Terrorgruppen Burkina Faso, als Ausgangsbasis für Operationen weiter südlich und westlich nutzen. Somit könnte ganz Westafrika destabilisiert werden. Angesichts der Tatsache, dass 70% der jungen Menschen in Westafrika ihre Länder bereits heute verlassen möchten, eine gefährliche Situation, vor allem auch für Europa. Die Folgen des Klimawandels sind bei dieser Betrachtung noch nicht berücksichtigt.
UM MALI MÜSSEN WIR UNS BESONDERS KÜMMERN
Mali ist unter den fünf Ländern in der Sahel-Zone besonders gefährdet. In weiten Teilen des Landes gibt es weder Arbeit, noch Hoffnung. Seit der Staatsverschuldungskrise in den 1980er Jahren ist der Arbeitsmarkt besonders prekär, da viele landwirtschaftliche Arbeitsplätze weggefallen sind. Aufgrund der hohen Staatsverschuldung zwang die Weltbank das Land zu Privatisierungen und die Anpassung der Preise an den Weltmarkt. Das hatte für die Landwirte Malis, im Besonderen für Baumwoll-Farmer, verheerende Folgen. Durch die Anpassung der Preise an den globalen Marktwert verloren die Produkte an Profit, wodurch die Bauern ihre Konkurrenzfähigkeit verloren und sie seitdem dem Weltmarkt schutzlos ausgeliefert sind. Ein weiteres Problem ist die weit verbreitete Korruption im Land. Gerade die Eliten Malis sind zum großen Teil in dubiose Geschäfte verwickelt. Speziell der Drogenhandel verleitet viele Politiker zu Korruption, da sie dadurch ihre eigene Macht sichern und ausbauen und zusätzlich eine Quelle zur Selbstbereicherung haben. Für Mali aber hat das durchweg negative Auswirkungen. Aufschwung und Weiterentwicklung werden so gebremst oder gar gestoppt.
GEOGRAFISCHER KONTEXT
Westafrika umfasst 16 Ländern und erstreckt sich übe einen Großteil des Afrikanischen Kontinents, der Teile der Sahara im Norden einbezieht und im Süden von den Küstenregionen des Atlantiks bis zu dem Hochland von Adamaua und dem Kamerunberg erstreckt. Die Landesgrenzen der afrikanischen Staaten stammen aus der Kolonialzeit: Europäische Großmächte teilten weite Teile des Kontinents unter sich auf und verschleppten Millionen Menschen in die heutige USA als Sklaven. Die Grenzen legten sie dabei willkürlich fest. Ein Grund bis heute für die meisten Konflikte und geopolitischen Interessen der Franzosen, Engländer und Amerikaner und aufgrund der Rohstoffe vor allem auch China und neuerdings Russland.
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Burkina Faso als Binnenstaat nimmt eine kritische, geografische Position ein, denn es verbindet die Sahelzone mit den Küstenstaaten Benin, Côte d’Ivoire, Ghana und Togo. Burkinas Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sind mit denen seiner südlichen Nachbarn eng verflochten. Die Anschläge in Grand Bassam (Cote d´ivoire) im Hotel meines Freundes Jaques und die Entführungen von französischen Touristen in Benin haben hier erste Anzeichen geliefert.
NACHRICHTENDIENSTLICHE ERKENNTNISSE
Die Dschihadisten selbst haben wiederholt ihre Absicht bekräftigt, in das westafrikanische Küstengebiet zu expandieren. Ende April kündigte Togos Präsident Faure Gnassingbé die Verhaftung von mutmaßlichen Mitgliedern bewaffneter Gruppen an, die aus dem nördlichen Nachbarland des Landes kamen. Im selben Monat warnten die burkinischen Geheimdienste ihre Kollegen in den Nachbarstaaten, dass mehrere bewaffnete Dschihadisten das Land verlassen hatten, um in Benin und Ghana Zuflucht zu suchen. Die ivorischen Behörden haben Berichten zufolge mit Hilfe der französischen Geheimdienste mehrere Angriffe in Abidjan im vergangenen Mai vereitelt. Wenn die Gruppen in diesen Ländern Fuß fassen könnten, könnten dschihadistische Gruppen den Korridor, der sich vom Norden Malis bis in den Nordwesten Nigerias und den Norden Benins erstreckt, erweitern.
An der Grenze zwischen Mali und Côte d’Ivoire gab es mehrere Zwischenfälle, darunter die Entführung einer kolumbianischen Nonne in der Region Sikasso im Februar 2017. In den letzten Monaten scheint die dschihadistische Gruppe Islamic State in the Greater Sahara (ISGS) zu versuchen, einen Korridor vom Norden Malis über die nigerianische Stadt Dogondoutchi in den Nordwesten Nigerias und den Norden Benins zu öffnen. Der islamische Staat in der westafrikanischen Provinz (ISWAP), ein Ableger von Boko Haram, seinerseits hofft, vom Chaos, das durch eine beispiellose Verbrechenswelle im nigerianischen Bundesstaat Zamfara an der Grenze zum Niger verursacht wurde, profitieren zu können, um Waffen zu verkaufen und seinen Mitgliedern den Zugang zum Südwestniger zu ermöglichen um ebenfalls einen Korridor an die Küsten zu schlagen.
Gegenwärtig dringen dschihadistische Gruppen in den Süden und Osten Burkina Fasos vor, um sich den Golfstaaten von Guinea anzunähern. Am 7. November 2019 fand der dritte schwere Anschlag auf einen Konvoi von Arbeitern aus der Goldmine Boungou statt, bei dem mindestens 38 Menschen getötet wurden. Die Mine liegt an der Grenze zu Benin und Togo.
HINWEISE/ ANKÜNDIGUNGEN DER TERRORGRUPPEN
Seit mehreren Jahren verweisen in der Sahelzone aktive bewaffnete Gruppen in ihren Erklärungen auf die Destabilisierung der Länder im Golf von Guinea. In einem Video vom 8. November 2018 riefen z.B. die drei Führer der Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime (GSIM) - Iyad Ag Ghali, Djamel Okacha (+) und Amadou Koufa - einer 2017 gegründeten und mit al-Qaida verbundenen Koalition dschihadistischer Gruppen - das über die Sahelzone und Westafrika verstreute Volk der Fulani (Peulh) auf, den Dschihad in anderen Ländern zu verfolgen", wobei sie sich insbesondere auf Senegal, Benin, Côte d’Ivoire, Ghana und Kamerun beriefen, alles Länder mit wichtigen Seehafen, die ganz Westafrika versorgen. Die Volksgruppe der Fulani/ Fulbe/ Peulh sind eine der stärksten Ethnien in Westafrika, ihre Anzahlg wird in Nigeria: auf 15 Mio. geschätzt, in Mali auf 3 Mio., in Guinea auf 5 Mio. Menschen, im Senegal auf über 3 Mio. und in Ghana knapp unter 1 Mio. Die nomadisch geprägte Volksgruppe Fulani ist dabei die englische Bezeichnung, im französischen wird die Ethnie Peulh genannt.
STRATEGIE ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT ÄNDERN
Die internationalen Partner müssen das Entwicklungsdogma, die Infrastruktur in den am dichtesten besiedelten Gebieten zu platzieren, als Mittel zur Maximierung der Rentabilität von Investitionen aufgeben und in die ländlichen Gebiete investieren, wo die Terrorgruppen rekrutieren.
Wir arbeiten seit 2014 in der Region mit der Elektrifizierung von Dörfern mit erneuerbaren Energien und haben bereit in 20 Dörfern erfolgreich Perspektiven und Sicherheit geschaffen. Wie wir das machen erkläre ich in 3 Minuten in diesem Video: https://youtu.be/iCylqn1b2ow
Die G5 und andere westafrikanische Länder haben sich nie richtig zusammengeschlossen. Kritiker weisen darauf hin, wie die G5 Westafrika künstlich in zwei verschiedene Räume aufteilt und dabei die menschlichen und politischen Bindungen zwischen den Ländern des Nordens und des Südens ignoriert. Die Etikettierung einer Sahelregion, die auf vier frankophone Länder und Mauretanien beschränkt ist, hat ebenfalls zu Rissen in der Region geführt, alte Rivalitäten zwischen Frankophonen und Anglophonen wieder aufleben lassen und den Verdacht auf französische neokoloniale Ambitionen geweckt. Der ivorische Präsident Alassane Ouattara, Patriarch von Westafrika und zweifellos Frankreichs loyalster Verbündeter in der Region, hat im vergangenen Juni die Grenzen der G5-Sahelzone aufgezeigt: „MINUSMA und die G5-Sahelzone allein reichen nicht aus. Wir müssen Wege finden, uns breiter und effektiver zu koordinieren, um diesen Nachbarländern bei der Bekämpfung des Terrorismus zu helfen“.
Für eine Gruppe von armen und verschuldeten Ländern ist der Umstand, so hohe Summen für die Terrorismusbekämpfung auszugeben, zudem sehr fragwürdig. Die Erfahrung zeigt, dass mehr Geld keine garantierten Ergebnisse bietet.
MEHR GELD IN MILITÄR HILFT NICHT
Nigeria gab z.B. im Jahr 2018 über 2 Milliarden Dollar für die Verteidigung aus, konnte aber die Terrorgruppe Boko Haram, die nur einige tausend Kämpfer hat, nicht überwältigen. Das Land ist sogar gezwungen, den Tschad, dessen Verteidigungsausgaben sich 2018 auf nur 233 Millionen Dollar beliefen, um Hilfe zu bitten.
Das Jahr 2020 könnte Westafrika zum ersten Mal in seiner Geschichte nach der Unabhängigkeit mit einer großen Krise konfrontieren. Politische Unruhen im Süden die sich mit der Unsicherheit im Norden verbindet. Die Kombination dieser beiden Krisenherde wäre für die Region katastrophal sein.
Um diese Möglichkeit abzuwenden, muss das Bewusstsein für die Gefahr auf höchstmöglicher Ebene geschärft werden auch in Europa. Die politischen Führer müssen erkennen, dass der Terrorismus nicht die einzige Bedrohung in der Region ist und dass regionale Interessen Vorrang vor privaten und nationalen Erwägungen haben müssen. Andernfalls werden sich verschiedene Staatsoberhäupter bald massiven Unruhen gegenüber stehen sehen.
Die EU sollte darauf hinwirken, dass Entwicklungsgelder zielgerichteter eingesetzt werden, die Koordination von Behörden verbessert wird und die grundlegenden Probleme wie Korruption und Arbeitslosigkeit gezielt bekämpft werden.