Prof. Dr. Wolfgang Rams - Perspektiven eines Co-Piloten

Bislang bin ich in diesem Forum (wie auch bei Social Media) kaum sichtbar geworden. Nicht nur Torsten, sondern auch Investoren und Fans von AGT haben mich darum gebeten, dies zu ändern.

Meine bisherige Zurückhaltung hatte dabei vor allem folgende Gründe:

  1. In meinen Rollen als Vorstand für Finanzen und Operations bin ich aktuell in den folgenden Themen aktiv und stark ausgelastet:
    a) Fund Raising: Während Torsten sich zunehmend auf das Fundraising bei Crowd Investoren konzentriert und diese durch umfassende Marketing- und Markenbildungsmaßnahmen flankiert, führe ich Gespräche mit Direktinvestoren, die größere Aktienpakete erwerben wollen. Dies beginnt mit einem ersten persönlichen Pitch, gefolgt von einer Due Diligence bis hin zum Closing und der Nachbetreuung der Investoren. Neben dem Finden neuer Aktionäre (= Corporate Finance) gilt es, Projektfinanzierungen über spezielle Fonds oder Entwicklungsbanken (Development Financing Institutions = DFIs) aufzutun. Hier ist nicht nur Überzeugungsarbeit zu leisten, sondern es sind auch hohe formale Anforderungen zu erfüllen und komplexe Vertragswerke zu erstellen.
    b) Accounting, Controlling & Reporting: Von einem klassischen CFO wird erwartet, die Finanzmittel des Unternehmens im Blick zu halten, diese zu dokumentieren, zu berichten und dem Unternehmen selbst wie auch Investoren einen klaren Blick auf den Geschäftsverlauf zu ermöglichen. Budgetplanungen, Zielvereinbarungen, Liquiditätsplanung usw. sind hier Teilaspekte dieser Aufgabe. Angesichts der Komplexität der Africa GreenTec Gruppe mit den vielen Ländergesellschaften, Geschäftsmodellen und Produkten ist alleine diese Tätigkeit ein Full-time-Job.
    c) Als COO bin ich zudem für die „Operations“ verantwortlich, d.h. dass die Abläufe innerhalb der Gesellschaft gut strukturiert sind. Hier haben wir mit der Einführung eines länderübergreifenden ERP-Systems erhebliche Fortschritte gemacht und eine Grundlage für eine gut strukturierte, prozessorientierte und konsequente Verfolgung von Projekten gelegt.
    d) Des Weiteren liegen die Bereiche HR & Legal in meinem Aufgabenbereich. Diese Aufgabe erfordert nicht nur einen vertrauensvollen Dialog mit dem Team, sondern geht mit vielen rechtlichen Themen und intensiven Vertragswerken einher.

  2. Ein weiterer Grund für meine Zurückhaltung bei der Kommunikation liegt in der Vertraulichkeit. Es ist davon auszugehen, dass auch der Wettbewerb mitliest, weshalb ich kein Fan davon bin, interne Strategien auf einer zu großen Bühne auszubreiten. Der überwiegende Teil meiner Gespräche findet am grünen Tisch statt, wo die Gesprächspartner in der Regel nicht daran interessiert sind, diese öffentlich zu teilen.

  3. Außenkommunikation muss relevant sein. Dies gilt auch für dieses Forum und für Social Media: Insbesondere die Arbeit nach innen ist mitunter weniger spektakulär, da es schlicht darum geht, Themen abzuarbeiten, wo nicht immer etwas Neues, auch für die Außenwelt relevantes geboten werden kann. Im täglichen Doing ist mehr Disziplin gefordert als Kreativität und Inspiration, was für Beobachter von außen weniger spektakulär sein dürfte.

  4. Gleichwohl befindet sich AGT in einem Transformationsprozess, der sicherlich für unsere Investoren interessant ist und durchaus auch als Referenz für andere Organisationen dienen kann. Die Entwicklung von einem gründerzentrierten Startup, bei dem vieles auf Zuruf funktioniert, hin zu einer strukturierten (speziell bei AGT noch zusätzlich geographisch verteilten, interkulturellen und virtuellen) Organisationsstruktur mit Mittelmanagement und Prozessabläufen sowie KPI- und finanzkennzahlen-getriebenen Firma, stellt für die Gründer/ das Management wie auch das Team eine große Herausforderung dar. Für Torsten bedeutet es, nicht mehr alles selbst machen zu wollen und im Stil eines Diego Maradonna den Ball im eigenen Strafraum zu erobern, über den ganzen Platz zu dribbeln und die Tore alle selbst zu schießen., sondern Verantwortung abzugeben, Spielzüge in Form von Prozessabläufen zu strukturieren, in diesen Spielzügen als Anspielstation zu dienen, Mitarbeiter zu enablen und in Szene zu setzen und letztlich Teil einer höheren Spielsystematik zu sein. Wenn dies bei AGT dank des engen vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Torsten, dem Team und mir sehr gut gelingt, ist es doch nicht immer konfliktfrei. Derartige Konflikte öffentlich auszutragen ist nicht unbedingt sinnvoll.

  5. Die Außenkommunikation sollte konsistent sein, gleichwohl ist Authentizität eine elementare Basis, um glaubwürdig zu sein. Innere Rollenkonflikte erschweren diese Konsistenz. In meinem Fall müssen die mitunter widersprüchlichen Rollen der Privatperson Wolfgang, die mit Torsten und Aida befreundet ist, des Co-Founders bzw. Investors, des haftenden Vorstands und des Wissenschaftlers unter einen Hut passen. Als Privatperson vertrete ich mitunter hypothetische Ansichten, die ggf. wissenschaftlich (noch) nicht zu beweisen sind. Als haftender Finanzvorstand, der Interessen von Aktionären zu vertreten hat, muss ich meine privaten Interessen und Sichtweisen zurückstellen.

  6. Als Privatperson habe ich natürlich auch eine politische Meinung. Während für Torsten politische Einflussnahme ein wichtiges Betätigungsfeld seiner öffentlichen Kommunikation ist und er auch seine Gesinnung durchblicken lässt, halte ich mich in dieser Frage vollständig zurück. Ich halte die Vermischung von Unternehmertum und Politik für kontraproduktiv. AGT ist keine politische Organisation, sondern eine Firma. Politische Parteien und Meinungen reduzieren sich zu oft auf einseitige, mitunter dogmatische, in jedem Fall aber parteiprofilbildende Sichtweisen, die selten der Komplexität der Realität gerecht werden. Einer Partei öffentlich zu nahe zu stehen, schreckt möglicherweise Sympathisanten anderer Parteien ab, wenngleich diese auch sinnstiftende Unterstützung geben können. Hieraus ergibt sich für mich ein Konflikt aus Loyalität und Identifikation der AGT gegenüber meiner persönlichen Meinung. Das wirft die allgemeine Frage auf, inwiefern es notwendig ist, dass die AGT in der Öffentlichkeit mit nur einer Stimme spricht? Fakt ist, dass Torsten und ich uns bei fast allen Themen intensiv abstimmen und dabei meistens zu einem Konsens kommen. Gleichwohl gibt es auch hin und wieder Konflikt- oder zumindest Diskussionspotentiale. Eine gesunde und vertrauensvolle Beziehung lebt davon, dass diese Punkte offen thematisiert und bearbeitet werden. Was für Freundschaften und Ehegemeinschaften gilt, trifft auch auf Geschäftspartner zu. Eine gesunde Beziehung setzt ein vertrauens- und respektvolles Miteinander voraus. So erleben Torsten und ich in unserer täglichen Arbeit die Meinungsvielfalt als echte Bereicherung. Eine Organisation, die sich ständig in Veränderungsprozessen befindet, immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt wird, braucht eine solche Kultur. Wir sind der Meinung, dass Sozialsysteme aller Art (ob Familien, Unternehmen, Vereine, Parteien oder ganze Staaten) die Meinungsvielfalt benötigen, um sich zu entwickeln. Vor dem Hintergrund dieser Überzeugung, haben wir beschlossen, dies auch in diesem Forum transparenter zu machen und Raum für Meinungsvielfalt zu bieten.

  7. Dies bringt uns zum siebten und letzten Grund meiner bisherigen Zurückhaltung in der Außenkommunikation: Ich bin hin und wieder einfach anderer Meinung! Diese Widersprüche stehen einer One-Voice-Strategie entgegen. Es sind zwar keine fundamentalen Widersprüche. Dennoch sind sie relevant und wichtig. Ganz im Sinne einer offenen Firmenkultur war es Torsten jedoch wichtig, diese Widersprüche auch im Forum zu thematisieren, da der öffentliche Diskurs der Themen auch für unsere Fans bereichernd ist und mitunter die Richtungsänderungen innerhalb der AGT nachvollziehbarer macht.

Vor dem Hintergrund möchte ich in den nächsten Wochen folgende Fragen kritisch beleuchten:

  1. Investieren statt Spenden: Sinnvolles Konzept oder „nicht Fisch, nicht Fleisch“ und daher zum Scheitern verurteilt?
  2. Rendite versus Impact: Muss man bei einem Impact Investment wirklich auf Rendite verzichten? Wie viel Business darf und muss ein Social Business beinhalten?
  3. Infrastruktur als staatliche Aufgabe oder als unternehmerische Chance?
  4. Politische Einflussnahme als Weg, die Welt zu verändern oder doch reine Zeitverschwendung?

Fazit. Ich freue mich auf den Dialog in diesem Forum und hoffe auf einen regen Austausch. Gleichzeitig bitte ich schon jetzt um Verständnis, wenn meine Beiträge hin und wieder etwas länger auf sich warten lassen, weil gerade die anderen Themen meine volle Aufmerksamkeit erfordern.

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Ich würde sagen, nicht co-pilot, aber auch PF (Pilot Flying), nur, einer schaut mehr nach draussen (Marketing, usw.), der andere kontrolliert mehr die Instrumente …
Auf jeden Fall, Cockpit mit zwei tollen Pilots …

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@Wolfgang_Rams Ganz herzlichen Dank für den Einblick in das Cockpit von AGT.
Ich finde es prima, dass uns Crowdinvestoren, die wir die Größe und Komplexität der AGT-Gruppe vielleicht nicht vollständig durchschauen, die Möglichkeit hier etwas mehr Durchblick zu gewinnen, gegeben wird. Dass es in einem solchen Unternehmen zwischen dem CFO und dem Gründer Reibungspunkte gibt, ist absolut nachvollzienbar und wenn dies, wie geschildert, offen diskutiert wird auch hilfreich.

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Auch ich danke für die offene Kommunikation, die ich so transparent bei keinem Unternehmen bisher erlebt habe.
Das macht Dich lieber Wolfgang sehr sympathisch. Gehe davon aus, dass Du Profi genug bist, um zu erkennen, wann und ob angesichts der vielen Arbeitsfeldern und den damit zwangsläufig verbundenen und von Dir beschriebenen Konflikten und unterschiedlichen Rollen, Supervision / Coaching flankierend hilfreich sein kann.
Manch ein u. U. vorhandener blinder Fleck oder Knoten kann bisweilen von außen besser erkannt und aufgelöst werden.
Dann hoffe ich, dass, so erforderlich auch genügend Personal zur Verfügung steht bzw. gestellt wird, um Dich, da wo es möglich ist, zu entlasten.
Beste Grüße!
Stephan T.

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Hi @Wolfgang_Rams
Danke für den interessanten und ausführlichen Input!
Ich freu mich, wenn neben den Einblicken von Torsten @Klimakrieger auch andere AGT-KollegInnen vermehrt Input liefern. Find ich wichtig, dass man wahrnimmt, dass es neben Torsten noch weitere Meinungen, Sichtweisen, Lösungen gibt. Und ich bin mir auch sicher, dass es neben den Ansichten von Torsten noch viele weitere wichtige und richtige Meinungen gibt :wink:
Das Forum sollte idealerweise das abbilden, was AGT ausmacht => Diversität, Wachstum, Kreativität,…
Von daher wäre es cool, wenn auch weitere AGT-KollegInnen, die keine Führungsposition inne haben, die Chance ergreifen würde, ihr Wissen/Ideen/… in der Community zu teilen/diskutieren.

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Wow, viel zu tun und tolle Gedanken. Das bestärkt mich mal wieder darin, dass mein Geld bei AGT in guten Händen ist - gerade weil es ein echtes Ringen um die richtige Strategie zu geben scheint.

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Zunächst herzlichen Dank, lieber @Wolfgang_Rams für diesen fundierten und offenen Beitrag. Ich sage immer „Diversity is a driver of innovation“. Wenn wir es lernen respektvoll miteinander umzugehen, egal wie unterschiedlich wir sind, dann sind wir viel besser für komplexe Veränderungsprozesse gewappnet.

Meine persönliche Antwort zu Deinen Fragen:
ad 1. Investieren statt Spenden: Sinnvolles Konzept oder „nicht Fisch, nicht Fleisch“ und daher zum Scheitern verurteilt?
Spenden werden nur dann gebraucht, wenn es gilt bei großen Katastrophen schnell zu helfen.
Ansonsten braucht Afrika keine Hilfsgelder, sondern Investitionen. Dabei stehe ich dem Top-Down-Approach wie etwa durch den Fond „Africa Grow“ eher kritisch gegenüber, weil er sein Geld den falschen Funds gibt und bevorzuge den Bottem-Up Approach mit Investitionen in Start-Ups und Venture Funds, aus Afrika und solchen die in Afrika investieren oder Leistung in Afrika erbringen.

  1. Rendite versus Impact: Muss man bei einem Impact Investment wirklich auf Rendite verzichten? Wie viel Business darf und muss ein Social Business beinhalten?
    Viele philanthropische Investoren aus der ganzen Welt haben inzwischen auch gelernt, dass es besser ist, eine Rendite zu erwarten, die im besten Fall in den Investitionstopf zurückfließen.
    Für klassische Investoren, insbesondere für Privatinvestoren ist es wichtig, die eigenen Werte zu kennen und Investitionen im Einklang mit ihren eigenen Werten zu tätigen. Das könnte man auch verkürzt verantwortliches Investieren nennen. Solche verantwortlichen Investments bringen dann eine doppelte Rendite, eine für den Geldbeutel und eine für die Seele.
    Impact orientierte Unternehmen, Start-ups, VCs, FoFs, KMUs, etc. haben die Pflicht, nicht nur die kommerziellen Daten zu kommunizieren, sondern auch ihren Impact zu messen, zu managen und zu reporten.
    Das ist nicht immer ganz leicht, da es noch keine allgemein verbindlichen Standards gibt, aber es gibt viele gute weltweite Ansätze dazu und vieles dazu wird gerade auch bei uns in der Bundesinitiative Impact Investing diskutiert, wo ich Mitglied bin.

  2. Infrastruktur als staatliche Aufgabe oder als unternehmerische Chance?
    Infrastruktur ist ein sehr weiter Begriff. Im Kontext von AGT brauchen wir nicht über Flughäfen, Häfen, Autobahnen, Schienentrassen oder Transportnetze für Strom, Gas, etc. zu diskutieren.
    Viele kleinere Infrastrukturprojekte wie Mini-Grids, lokale Wasserversorgung, Windenergieparks bieten jedoch gute Chancen für unternehmerisches Engagement. Dennoch: Einer meiner Kunden ist dabei den Due Diligence Prozess für erneuerbare Energie Projekte kleiner als 50 Millionen US Dollar Schritt für Schritt zu „automatisieren“. Das Team hat viele solcher Pojekte als Projektentwickler bis zur Investment-Reife auf institutioneller Ebene begleitet, sieht ein riesiges Potenzial, weil die Projektentwickler bislang viele Tausend solcher Projekte als zu klein und zu kostspielig links liegen lassen.

  3. Politische Einflussnahme als Weg, die Welt zu verändern oder doch reine Zeitverschwendung?

Ich fände es schön, wenn Torsten seine Kompetenz und politische Beiträge in die Bundesinitiative Impact Investing einbringen würde. Dort gibt es Leute, deren Aufgabe es gerade ist, auf Politik einzuwirken, aber es gibt natürlich auch großartige Einzelpersonen, wie Torsten, Greta Thunberg, Elizabeth Wathuti, u.a., die als Person wichtige Influenzer sind.
Für eine nachhaltige Veränderung bedarf es aber viel, viel mehr. Es bedarf einer Überwindung des weltweiten Vulgärkapitalismus hin zu einem inklusivem, sozialem Kapitalismus zu transparenten Finanzsystemen und einer gerechteren Verteilung von Wohlstand.

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